„Kein Golfschwung ohne Hüftschwung“ – was gibt es Neues in Sachen Hüftmedizin?
250.000 Patienten pro Jahr lassen sich in Deutschland ein künstliches Hüftgelenk einsetzen. Die Hauptursache für eine neue Hüfte ist der altersbedingte Verschleiß. Wir trafen Chefarzt Jens Brade und Chefarzt Christian Müller in der orthopädischen Klinik Braunfels bei Frankfurt, um uns auf den neuesten Stand zu bringen. Ein Gespräch über minimalinvasive Techniken und aktuelle Entwicklungen.
GM: Ohne Hüftschwung kein Golfschwung - ein erstaunlicher Titel unseres Gespräches, wenn man bedenkt, dass der Golfsport zu einem Großteil von Hobbysportlern jenseits der 60 betrieben wird?
Jens Brade: Nun ja, 60 ist das neue 50 würde ich sagen (schmunzelt). Der Hüftschwung ist natürlich immens wichtig beim Golfsport, weil es sich (ähnlich wie beim Steinwurf) um eine seitliche Wurfbewegung handelt. Nur ist die Rotation, je nach Beweglichkeit und Beschwerdebild, bei jedem Golfer unterschiedlich.
GM: Wenn wir davon ausgehen, dass die Hauptursache für Hüftbeschwerden im altersbedingten Verschleiß liegt, ist dann die Zunahme der Hüft-Operationen in Deutschland auch eine Folge der Überalterung der Gesellschaft?
Christian Müller: Die Überalterung der Bevölkerung ist der Hauptfaktor. Gleichzeitig hat sich aber das Aktivitätsniveau bis ins hohe Alter enorm verändert. Heute ist es normal, dass man mit 70 Jahren und mehr noch sportlich hoch aktiv ist. Dementsprechend steigt natürlich auch der Anspruch an den eigenen Bewegungsapparat und somit wird z.B. eine Hüftarthrose heute ganz anders wahrgenommen als noch vor 50 Jahren. Nicht zuletzt durch die guten operativen Versorgungsmöglichkeiten lassen sich Beweglichkeit und Mobilität erhalten.
Heute ist es normal, dass man mit 70 Jahren und mehr noch sportlich hoch aktiv ist. Dementsprechend wird z.B. eine Hüftarthrose heute ganz anders wahrgenommen als noch vor 50 Jahren.
GM: Klären Sie uns in kurzen Worten kurz auf, wie man sich das Problem Hüftarthrose als Laie mechanisch vorstellen muss!
Jens Brade: Stellen Sie sich das wie ein Kugelgelenk vor. Die Knorpelbeschichtung der Gelenkflächen am Hüftkopf und an der Hüftpfanne federn die Stöße lange Zeit ab. Doch insbesondere bei Über- und Fehlbelastungen ist die Knorpelmasse dann irgendwann verschleißt. Dadurch entsteht dann Arthrose, was nichts anderes als „Gelenkabnutzung“ bedeutet.
Das ganze Dilemma nimmt dann in der berühmten Schonhaltung seinen Lauf. Oftmals über Jahre. Patienten beginnen zu hinken und greifen sogar zur Gehhilfe, um dem Schmerz zu entkommen. Das verschlimmbessert dann alles nur noch, denn auf Dauer fügen diese Versuche dem Gelenk noch mehr Schaden zu. Zudem bilden sich Verspannungen in den Hüftmuskeln und der Rückenmuskulatur, die man von selbst nicht mehr beheben kann. GM: Bevor der Zeitpunkt für ein künstliches Hüftgelenk gekommen ist, stellt sich die Frage nach alternativen Methoden! Wir sahen in Ihrer Vita, dass Sie eine Zusatzausbildung in Chirotherapie besitzen. Gibt es denn manuelle Mittel, um solch einem Leiden beizukommen?
Jens Brade: Bei Verschleiß (Arthrose) ist es im Akutfall so, dass Knochen auf Knochen reibt. Der Hüftkopf besitzt die schützende Knorpelschicht nicht mehr – und das macht dann sehr große Beschwerden nebst Schmerzen. Ein Teil der Schmerzen wird durch die umgebenden verspannten Muskeln und Faszien verursacht. Das ist der Grund, warum in solch einem Fall manuelle Therapien nur eingeschränkt erfolgreich sind. In noch nicht so fortgeschrittenen Fällen, lässt sich mit gezielter Physiotherapie die Entzündung eindämmen und das Gelenk stabilisieren. In wiederum anderen Fällen stammen die Beschwerden jedoch gar nicht vom Hüftgelenk. Muskuläre Dysbalancen oder Probleme an den Faszien können ebenso die harmlosere Ursache sein. Der genauen Diagnose kommt daher eine sehr große Bedeutung zu.
GM: Wenn jetzt alles nichts mehr hilft, muss sich der Patient ein künstliches Hüftgelenk einsetzen lassen. Wie aufgeklärt sind die Patienten dann? Es ist ja nicht so, dass man dann bei Ihnen wünscht, sich eine Prothese von Hersteller XY einsetzen zu lassen – am liebsten zementfrei und in Edelmetallausführung...
Christian Müller: (lacht) Ja, schön wär´s. Mich würde es wirklich freuen! Das würde uns ein Stück mehr Vertrauen entgegen bringen, denn ich verstehe meinen Arztberuf so, dass ich mit einem aufgeklärten Patienten besser arbeiten kann. Das ist nicht unwichtig für die Rehabilitationszeit, denn wenn der Patient versteht, was geschehen ist und wie das neue Teil seines Körpers funktioniert, arbeitet er psychologisch aktiver an seiner Genesung.
Das ganze Dilemma nimmt dann in der berühmten Schonhaltung seinen Lauf. Oftmals über Jahre. Patienten beginnen zu hinken und greifen sogar zur Gehhilfe, um dem Schmerz zu entkommen.
GM: Wir spielen damit ein wenig auf die jüngste Berichterstattung an, die sich auf den Einsatz fehlerhafter Prothesen stützte. Dort wurde über die „Metall auf Metall-Prothesen“ diskutiert.
Jens Brade: In unserer Klinik haben wir zum Thema Prothesenauswahl schon immer eine recht klassische Philosophie vertreten. Es werden bei uns nur Prothesen verwendet, die in sehr großen Studien bewiesen haben, dass sie eine lange Haltbarkeit und eine hohe Patientenzufriedenheit gewährleisten können. Besonders gut ablesen kann man das am sog. Schwedenregister in dem seit über 30 Jahren alle implantierten und gewechselten Prothesen in Schweden erfasst werden. In Deutschland haben wir seit 5 Jahren endlich ein solches Register. Leider wird der Patient nicht immer über die z.T. fehlenden oder schlechteren Langzeitergebnisse aufgeklärt. So auch im Fall der von Ihnen genannten Prothesen, die wir glücklicherweise zu keinem Zeitpunkt implantiert haben.
GM: Können Sie unseren Lesern die Unterschiede der Prothesenformen in kurzer Form erklären? Und vielleicht noch darauf hinweisen, für wen diese jeweils in Frage kommen?
Christian Müller: Bis zu einem gewissen Alter bei guter Knochenqualität entscheiden wir uns immer für eine zementfreie Prothese. Diese hat den Vorteil einer direkten Kraftübertragung auf den Knochen, welcher dadurch angeregt wird zu wachsen und stabiler zu werden. Lässt in hohem Alter die Stabilität und die Durchblutung des Knochens nach, so setzen wir den Schaft als zementierte Version ein und die Pfanne, wenn möglich, trotzdem zementfrei. Es gibt aber auch Situation, in denen wir die Pfannenkomponente zementieren müssen. Wie Chefarzt Herr Brade bereits erwähnt hat, verwenden wir nur bewährte Implantate und haben bislang weder sog. „Kappenprothesen = Oberflächenerhalt Implantat“ noch „Kurzschaftprothesen“ implantiert. Im Falle der „Kappenprothesen“ waren die Komplikationsraten so groß, dass diese in Deutschland kaum noch implantiert werden.
„Der Vorteil der minimalinvasiven Zugänge liegt hauptsächlich darin, dass keine Muskeln und Sehnen mehr durchtrennt werden, so dass sich der Patient sehr viel schneller nach der Operation erholt.“
GM: An Ihrer Klinik haben Sie eine minimalinvasive Form der OP erfunden. Was hat es damit auf sich?
Jens Brade: Es gibt verschiedene klassische und minimalinvasive Zugänge zum Hüftgelenk. Der Vorteil der minimalinvasiven Zugänge liegt hauptsächlich darin, dass keine Muskeln und Sehnen mehr durchtrennt werden, so dass sich der Patient sehr viel schneller nach der Operation erholt. Darüber hinaus ist das operative Trauma geringer, somit auch der Blutverlust und Komplikationen wie Wundheilungsstörung und Infektionen treten seltener auf. In unserer Klinik verwenden wir einen speziell von unserem ehemaligen Chefarzt Herr Dr. Jung entwickelten anterolateralen (von vorne, seitlich) Zugang, bei dem der Patient in Rückenlage operiert wird. Inzwischen können wir sogar Prothesenwechseloperationen über diesen Zugang durchführen, also ebenfalls minimalinvasiv!
GM: Die Frage nach Aufenthaltsdauern bei Operationen und Reha wird ja immer ungern beantwortet, aber wir nageln Sie nicht darauf fest. Wie lange dauert ein Eingriff nebst Reha in der Regel?
Jens Brade: Ich beantworte diese Frage sehr ungern (lacht). Der Patient bleibt nach der Operation noch einige Tage bei uns und wird bereits ab dem ersten Tag mobilisiert. Wenn er dann in eine Rehaeinrichtung wechselt, ist er in der Lage, sich mit Gehstützen frei zu bewegen und z.B. Treppen problemlos zu bewältigen. In der Reha erfolgt dann bereits nach kurzer Zeit der Übergang zum Gehen ohne Gehstützen. Nach 4 Wochen brauchen die meisten Patienten im häuslichen Bereich keine oder nur noch eine Gehstütze.
GM: Können Sie auch noch zwei Sätze zur Behandlung eines Hüftimpingements sagen? Und was es genau ist...
Christian Müller: Beim Golfschwung schwingen wir um den Hüftkopf des vorderen Beines. Beim Aufschwung dreht die Hüfte dabei nach außen, beim Durchschwung wiederum nach innen und federt den größten Teil der Schwungenergie ab. Ist der Hüftkopf dabei nicht symmetrisch in der Hüftpfanne zentriert, ist die Bewegungsfähigkeit des gesamten Gelenkes blockiert. Durch permanente Wiederholungen entstehen dann Schädigungen der Gelenklippe am Pfannenrand. Diese Diagnose wird als Einklemmung (Impingement) bezeichnet. Dauerhaft entwickelt sich dann ein Knorpelschaden und in der Folge eine Hüftarthrose.
Behandelt wird es zumeist mit einer Hüftarthroskopie, also einem endoskopischen Eingriff, bei dem mechanische Probleme für das Gelenk beseitigt werden können. Eine Arthrose lässt sich hierbei leider jedoch auch nicht beseitigen.
GM: Wir danken für dieses informative Gespräch und wünschen einen gesunden Saisonstart!